Wenn der Klient zum Kunden wirdVon Joachim Speicher Aus: Sozialwirtschaft aktuell Ausgabe 12/2004 (Juni) In Rheinland Pfalz können behinderte Menschen bereits seit über fünf Jahren ein persönliches Budget als monatlichen Barbetrag in Anspruch nehmen. Das hat Folgen für die Anbieter sozialer Dienste. Durch gesetzliche Präzisierung “trägerübergreifender persönlicher Budgets” im Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch wird die Geldleistung in der Behindertenhilfe als Alternative zur Sachleistung insbesondere durch Erweiterung des § 17 SGB IX sowie durch die nach § 21a SGB IX am 14. Mai 2004 erlassene Budgetverordnung bundesweit eingeführt. Dem Ermessensanspruch ab 1. Juli 2004 wird ein Rechtsanspruch ab 1. Januar 2008 folgen.
In Rheinland Pfalz besteht für Menschen mit Behinderung bereits seit dem 1. Januar 1998 die Möglichkeit, alternativ zur stationären oder ambulanten Sachleistung einen monatlichen Barbetrag in Anspruch zu nehmen.
Die Zahlung der Geldleistung durch den Leistungsträger erfolgt unmittelbar an den Leistungsberechtigten. Durch diese einfach scheinende Regel verändert sich das Rechtsverhältnis zwischen Leistungsberechtigten, Leistungserbringer und Leistungsträger grundlegend.
Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Leistungsträger und dem Leistungserbringer, in der Regel normiert durch §§ 93 BSHG oder durch einschlägige Verwaltungsvorschriften, werden vollständig aufgehoben.
Der leistungsberechtigte Mensch mit Behinderung hat aufgrund seines individuellen Rechtsanspruchs nach § 3 BSHG sowie nach Maßgabe des § 17 SGB IX mit der Budgetverordnung unter Wahrung seiner Wunsch- und Wahlrechte einen Anspruch auf Zahlung einer Geldleistung. Darüber hinaus obliegt es ihm selbst oder seinem gesetzlichen Vertreter individuelle Betreuungs- oder Dienstleistungsverträge auf der Grundlage des BGB zu schließen, wann er will und mit wem er will.
Und “individuell” bedeutet hier tatsächlich am Einzelfall orientiert.
Man sollte die veränderte Lage, die Kraft des Geldes nicht unterschätzen.
Die Menschen kaufen sich die Hilfen und Unterstützungsleistungen ein, die ihnen in ihrer individuellen Situation am ehesten geeignet scheinen, ihre Teilhabe zu sichern. Auch dann, wenn solche Leistungen offenkundig in ihrer Prozess- und Strukturqualität schlechter sein sollten als vergleichbare Sachleistungen.
Das interessiert die meisten Budgetinhaber wenig. Sie achten - wie die meisten Kunden - stärker auf Ergebnisqualität
Dabei müssen viele der bisherigen Anbieter in der Behindertenhilfe zur Kenntnis nehmen, dass die Geldleistung an sich schon “Teilhabe” sichert, weil sie Wunsch- und Wahlrechte vermehrt.
“Wie viele Klienten werden für beschütztes Basteln bezahlen?”
Die wenigsten Budgetteilnehmer kaufen sich traditionelle psychosoziale Gruppenangebote ein (“ich mag kein beschütztes Basteln mehr”).
Weder stationär noch ambulant. Häufiger werden Begleitungen gewünscht, wie beispielsweise zum gemeinsamen Besuch einer Technodiskothek samstags in der Nacht von 23.00 bis 6.00 Uhr in der Früh.
Oder die Begleitung bei einer Urlaubsreise nach Mallorca.
Wer über ein persönliches Budget verfügt, sieht sich weitaus mehr als der Sachleistungsempfänger in der Lage, Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auf seine ganz eigene Weise zu realisieren.
Leistungen der klassischen Förderung, Betreuung oder Behandlung stehen bei Budgetinhabern nicht sehr hoch im Kurs.
Häufig hört man von Budgetinhabern das Argument, das die meisten Leistungserbringer noch nicht verstanden haben, das “Fördern, Betreuen, Behandeln” von Menschen nur Mittel zum Zweck sein kann.
Und der Zweck heißt “Teilhabe”.
Wenn die Tatsache, durch Geldleistung über größere finanzielle Spielräume zu verfügen, an sich schon mehr Teilhabe bietet, wozu dann noch “psychosoziale Maßnahmen” kaufen?
Leistungsanbieter sind eher selten in der Lage, auf diese veränderten Rollenverteilungen (“der Klient wird zum Arbeitgeber”) mit geeigneten offenen und flexiblen Angeboten und entsprechenden Personal zu veränderten Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten zu reagieren.
Wer sich diesen Prozessen nicht stellt und adäquate Antworten - beispielsweise durch Schaffung von “Kreativabteilungen” in den bisherigen Einrichtungen und Diensten - findet, wird dauerhaft weder dem Anspruch der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen noch seinen eigenen berechtigten wirtschaftlichen Interessen gerecht.
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